Wie kommt man auf die Idee, einen Urlaub mit dem Zug zu planen, wenn der nächste Bahnhof 4 km entfernt ist (Pockau-Lengefeld), man erst in 30 km Entfernung in einen Regionalzug steigen kann (Chemnitz Hbf) und der nächste ICE über 100 km entfernt ist? Und dann auch noch auf die Idee zu kommen mit dem Nachtzug zu fahren, der ab München fährt, an ein Ziel ohne Bahnanbindung? Mit 2 Kindern?

„Gerade deswegen“, dachte ich. Mit Hilfe des 9€-Tickets konnten wir im Sommer bereits den ein oder anderen Ausflug mit der Bahn planen und haben gute Erfahrungen gemacht. Da 3 von 4 Familienmitgliedern nur bedingt schwindelfrei reisen und das Wort Geduld eher bei 4 von 4 nicht zum Grundwortschatz zählt, sind längere Autoreisen eher ein Graus. Mit der Bahn konnten sich alle Recht gut anfreunden – die verschiedenen Vor- und Nachteile sind im folgenden Reisebericht gut versteckt.

Der Bedarf nach Sonne ist vor der dunklen Jahreszeit immer recht hoch, sodass wir uns in den herbstlichen Monaten auch gern Mal ein südlich gelegenes Urlaubsziel aussuchen. Da wir dieses Jahr erstmals an die Herbstferien gebunden waren, kamen nur die letzten beiden Oktoberwochen in Frage. Baden im Mittelmeer fiel bei voraussichtlichen 20-25 Grad Lufttemperatur eher aus, sodass mir der Gardasee auf den südlichen Ausläufern der Alpen einfiel. Also fix mal geprüft, was die naheliegendste (Nacht-) Zugverbindung wäre: Es fährt ein Eurocity zwischen München und Verona hin und her und ein Nightjet der ÖBB von München bis nach Florenz – ebenfalls über Verona. Da wir Freunde von Etappenreisen sind, stellte sich die Route relativ einfach auf: mit dem Zug nach München, dort in den Nachtzug nach Verona mit Aufenthalt, weiter an das Nordufer des Gardasees und eine Woche später zurück über München nach Hause. Da München exorbitante Hotelpreise aufruft, habe ich mich kurzerhand entschieden mit dem ICE eine Station weiter zu planen und die Rückreise in Nürnberg mit einer Nacht Aufenthalt zu entzerren.

Okay. Plan steht, nun zur Buchung. Ca. 1 Monat vor dem Urlaub war der Nachtzug doch schon recht ausgebucht. Sitzplatz im Nachtzug kam nicht in Frage und ein Schlafwagen war nicht mehr zu bekommen. Selbst beim Liegewagen musste ich lange suchen, bis ich ein gemeinsames Abteil bekommen habe. Kurz vor der Abfahrt habe ich nochmal bei der ÖBB nachgefragt, ob vielleicht ein Upgrade möglich wäre. Das war nicht der Fall, aber der Anruf war dennoch Gold wert, denn der Servicemitarbeiter riet mir, dass ich doch unser kleinstes Kind lieber als vollwertigen Mitfahrer einplanen sollte, sonst gäbe es keinen Liegeplatz. Außerdem wäre in unserem Abteil neben unseren 3 Betten auch das vierte Bett schon verbucht, sodass wir uns nicht nur zu viert 3 Betten sondern auch noch das Abteil mit einem Mitschläfer hätten teilen müssen – aber dazu später. Kleinkind nachgebucht, 4 Schlafplätze gesichert. Dazu noch die Anreise nach München mit Erzgebirgsbahn, RE Chemnitz-Hof, ALX RE von Hof nach München, Hotels dazu und los geht es. Die Rückreise hatte ich bewusst noch offen gelassen und auch den Transfer von Verona an den Gardasee wollte ich noch etwas auf uns zukommen lassen: Bus und Taxi standen zur Wahl.

So starteten wir am Montag, den 17. Oktober ab Warmbad/Floßplatz in unser Abenteuer – halb 11 und damit nach dem gröbsten Berufsverkehr. Dankenswerterweise hat uns Opa zum Abfahrtsort chauffiert, sodass unser Auto nicht 10 Tage am Bahnhof stehen musste. Maske auf, rein ins Abenteuer. Der erste Umstieg lief auch problemlos, doch schon von dem dritten Zug mussten wir uns gedanklich recht schnell verabschieden: vor Hof Hbf ging es wegen eines Weichenschadens nicht weiter. Und noch 6 Stunden bis Buffalo… bzw. München Nachtzug. Der Zug fuhr zurück nach Plauen, dort plante die MRB, uns mit dem nächsten planmäßigen Zug nochmals an die besagte Weiche zu fahren. Die Durchsage: „Ich weiß auch nicht, wie lange das dauern wird.“ hat bei mir dann alle Alarmleuchten angeworfen, sodass ich kurzerhand entschied, dass wir uns ein Taxi nehmen und die 30 km von Plauen nach Hof so zurücklegen, um ab Hof wieder mehr Verbindungsmöglichkeiten zu haben. Im Endeffekt eine teure, aber richtige Entscheidung. Mit bereits 2h Verspätung kamen wir in Hof an und hatten damit schon 60% des zeitlichen Puffers verbraucht. Mit einem RE (Hof-Nürnberg) und einem ICE (Nürnberg-München) haben wir dann auch noch relativ pünktlich München erreicht.

Tipp: Ab einer Verspätung von 20 min kann man sinngemäß deutschlandweit alle Züge nehmen, die einen ans Ziel bringen – auch wenn sie nicht in der ursprünglichen Buchung enthalten waren. Bei uns hieß das: trotz Quer-durchs-Land-Ticket, welches nur regionale Züge beinhaltet, konnten wir „Dank“ der Verspätung auch in den Genuß einer ICE-Fahrt kommen.

Und die Stimmung? Dank Gummibärchen, Mau-Mau, Malbüchern, Ratespielen und vielen Beobachtungsmöglichkeiten waren die Kids gut drauf – und wir haben uns gegenseitig Mut zugesprochen, dass schon alles gut wird. Und das wurde es ja auch: 19:43 fuhren wir in München Hbf ein – 20:10 sollte der Nachzug starten.

Großes Lob an der Stelle auch nochmal an alle Bahnbediensteten, die mit Ruhe und guter Laune die marode Bahninfrastruktur gut überbrücken. Und ein besonders großes Lob an meine 3 reizenden Begleiterinnen, die bis hier her diese Aufregung erstaunlich gut weg gesteckt haben.

Nun musste also das Schlafabteil bezogen werden. Man muss sich das so vorstellen: ein übliches Zugabteil umfasst zwei Sitzreihen einander zugewandt mit je 3 Plätzen. Übertragen gesagt werden die Sitzbänke zu den unteren beiden Liegen, die Rückenlehnen zu den beiden mittleren Liegen und die Kofferablage über den Köpfen sind die Betten Nummer 5 und 6. In unserem Fall bleiben die mittleren Liegen für Gepäck und Sachen frei – und es blieben die oberen und die unteren Liegen. Nun war da noch der/die ominöse Mitfahrer/in in unserem Abteil. Sie stieg kurz vor Abfahrt zu und ließ sich glücklicherweise überreden doch noch das Abteil zu tauschen – womit wir in Familie unsere „Buchte“ für uns hatten.

Also: Zähneputzen, pullern und ab ins Bett. Denn es stand eine Nacht auf Rädern an (kommt daher der Begriff „gerädert“?) und am nächsten Morgen war der Ausstieg schon für 5:50 angesetzt. Die Nacht war – wie zu erwarten – nicht zu komfortabel, aber ausreichend Erholung nach der anstrengenden Anreise. Mit zwei Beuteln voller Frühstück (Kaiserbrötchen, Butter, Erdbeermarmelade im Glas, Orangensaft und Kaffee) stiegen wir vor dem Morgengrauen in Verona Porta Nuova aus und frühstückten auf den Bahnhofssitzen zwischen all den Berufspendlern und Schülern. Anschließend tingelten wir mit unseren Rollkoffern zum Hotel. Natürlich war früh um 7 das Zimmer noch nicht bezugsfertig, aber zumindest konnten wir die Koffer erstmal loswerden.

So begann mit dem Sonnenaufgang unsere Stadttour durch Verona, was sich als echter Glückstreffer herausgestellt hat: alle Fotomotive ohne nervende Touristen, keine geöffneten Souvenirshops und eine herrliche Morgenstimmung. Arena di Verona, Piazza delle Erbe, Casa die Giulietta, Ponte Pietra, Piazza dei Signori und so weiter. Als wir dann zum Mittag unsere Stadtinspektion beendet hatten (inkl. Mittagessen, Eisessen und Julia-Huldigung), machten wir uns wieder auf den Weg zum Hotel – inzwischen durch Menschenmassen mit Fotoapparaten gebremst. Wohlgemerkt an einem Dienstag im Oktober! Das Hotel Firenze war ein echter Glückstreffer: ein Topzimmer mit weichen Betten….ratzefüh. Der Nachmittag ging im Mittagsschlaf ALLER Beteiligten unter. Und wer unser großes Kind kennt, weiß das zu schätzen. Der frühe Abend gehörte dann den Kindern: unweit des Hotels fanden wir einen großen Spielplatz mit Ziegen, den sich alle Mitreisenden nach 30 Stunden Reisestrapazen redlich verdient haben.

Nach einer Nacht in Verona war auch der Transfer nach Riva klar: der Bahnanteil durch das Etsch-Tal wurde verkürzt und statt in Rovereto strandeten wir in Mori. Von dort sollte es mit dem Bus weiter gehen. Gott gab uns den Konjunktiv: statt 12 Uhr mit dem Bus von Mori nach Riva zu fahren, fuhren alle Busse voll oder mit anderem Ziel an uns vorbei. Der Mittagsschlaf drängte inzwischen merklich – doch anderthalb Stunden später hatten wir dann doch „Glück“ und durften quasi auf dem Schoß des Busfahrers gen Gardasee schaukeln.

Die Einfahrt über Nago an den Gardasee, das Hotel direkt an der Wasserkante, der Blick, der Spielplatz, das Eis, das Wetter, die Gegend – all das hat dann aber alle vermeintlichen Schwierigkeiten bis hier hin vergessen lassen: der Urlaub konnte starten.

Und das tat er auch. Bereits am nächsten Tag gaben wir uns eines der Highlights: Limone. Da wir ja nun ohne eigenes Fahrzeug angereist waren, nutzen wir die Boote am See für den Transfer. Die 45 min auf dem Wasser haben uns schön geerdet und einen wunderbaren Blick auf die umliegenden Bergketten gegeben. Und auch auf dem See tummelte sich einiges: die Trainingsfahrten einer 29er-Regatta bildeten den Auftakt für deren Eurocup, der uns auch in den nächsten Tagen noch ordentlich Unterhaltung bot. In Limone selbst schlenderten wir durch die Gassen, besuchten die Limonaia del Castel, pizzierten und Limoncellierten am Hafen und hielten nach der Mittagspause auch mal ganz kurz die Füße in die Nässe. Tags darauf – inzwischen Freitag – versuchten wir unser Glück mit dem Bus nach Arco. Dank Trentino Guest Card waren die Busfahrten kostenlos, wie auch einige Eintritte und Tickets stark vergünstigt. Hin mit dem Bus, durch die Stadt, rauf auf die Burg Arco, runter durch den Olivenhain, rauf auf den Spielplatz, heim mit dem Bus, Mittagsschlaf, Eis, wieder ein schönes Erlebnis mehr. Von der Burg aus gibt es einen wundervollen Blick über die Berge, das Nordufer des Gardasees, verschiedene Obstplantagen und die Orte Riva, Torbole und Arco.

Am Sonnabend hat uns das Wetter ins Hotelzimmer gefesselt – aber zum Glück waren wir mit reichlich Beschäftigung ausgestattet. Zumindest den Nachmittag konnten wir dann noch nutzen, um die Kinder etwas auf dem Spielplatz zu lüften und den Kiesstrand zu erforschen. Dieser Tag Erholung war aber auch notwendig, denn am Sonntag Stand die größte Tour des Urlaubs an: Malcesine mit Monte Baldo. Da unsere Morgen sowieso regelmäßig um 6 beginnen, konnten wir gleich mit dem ersten Schiff nach Malcesine fahren und standen vor dem Besucheransturm um 10 auf der Scaligerburg Malcesine. Da das eigentlich Ziel auf 1.760 m Höhe noch in den Wolken lag, nahmen wir uns aber Zeit und fuhren dann mit der Bergbahn auf den Gipfel. Erwartungsgemäß ging die schnelle Fahrt von Null (50 Höhenmeter) auf 100 (1.760 Höhenmeter) aber nicht nur auf die Ohren, sondern auch auf die Leistungsfähigkeit unserer Kleinsten, die auf dem Gipfel direkt einschlief. Das gab uns Zeit auf das Wolkenloch zu warten. Als wir es schon fast aufgegeben hatten, zog es doch noch auf und wir konnten den Blick auf den Gardasee und einige umliegende Berge genießen. Zeit für die Fahrt auf Seeniveau – mit Unterbrechung auf der Mittelstation zum Schneckenhäuser-sammeln, Ziegen-beobachten und zum Druckausgleich. Den Abend konnten wir wiederholt bei Pizza und Pasta im Hotel-Restaurant genießen.

Um die Balance zu wahren, gehörte der nächste Tag wieder den Kindern – und die haben sich am Montag neben Spielplatz und Eis einen Trip auf die Bastione Riva gewünscht. Mit dem Schrägaufzug ging es diesmal also auf 200 Höhenmeter in die Ruine. Leider mussten wir feststellen, dass es neben der Trentino Guest Card noch eine Garda Guest Card gibt, die wir aber leider nicht hatten. Sie hätte uns einen Rabatt bei den Bootsfahrten und eine kostenlose Fahrt auf die Bastion ermöglicht. Sei es drum. Unser letzter Tag am Gardasee stand nochmal im Zeichen der italienischen Eindrücke. Unser Ausflug zog uns in die Grotte Varone, ein von einem Wasserfall geformtes Höhlensystem umrahmt von einem gepflegten Botanischen Garten. Der Heimweg führte uns durch den Ort Varone. Dort konnten wir in einem malerischen Café auf dem Kirchplatz zwischen Bauarbeitern und Rentnern eine typische Mittagspause (Riposo? Siesta?) genießen. Und dann wie schon gewohnt: laufen, Spielplatz, Mittagsschlaf, Eis und den Tag am Wasser ausklingen lassen – und irgendwie Abschied von der Idylle nehmen.

Am Mittwoch dann Teil 1 der Rückreise: der malerische Teil. Anstatt uns schon von Beginn an dem Risiko des verpassten Busses auszusetzen, wie schon auf der Hinreise, haben wir uns für ein Taxi von Riva nach Rovereto entschieden. Die richtige Entscheidung: pünktlich und Dank rücksichtsvollem Fahrer auch mit geordneten Magen trafen wir am Bahnhof ein und konnten pünktlich den EC nach München entern, der uns 4 Stunden durch die Alpen brachte. Eine wundervolle Route voller Fotomotive und Anreize für kommende Urlaube. Auch der ICE von München nach Nürnberg funktionierte gut, sodass wir den Abend noch in Nürnbergs Altstadt verbringen konnten – mit einem würdigen kulinarischen Abschluss im Spießgesellen. Aber: die Reise endete ja nicht in Nürnberg, sodass wir auf Teil 2 der Rückreise statt 4,5 Stunden in drei Zügen doch noch in den zweifelhaften Genuss von zwei Zugausfällen (Oberleitungsschaden bzw. Gleisverwerfung), fünf Zügen und einen Umweg über Dresden kamen – 9 Stunden und viele Erfahrungen reicher. Der anstrengende Teil.

Und nun? Auf immer geheilt von Bahnreisen? Sicherlich nicht. Es war ein sehr erholsames Reisen im Zug und selbst die Ausfälle konnten das Bild nicht trüben.